Italien ist auch ein Gefühl – Interview mit Remo Viani und Maria Laimer

Wo kommt sie eigentlich her, diese deutsche Sehnsucht nach Italien? Warum macht ein Teller Pasta manchmal glücklicher als ein piekfeines Menü? Und wieso hat sich gerade in Italien das traditionelle Lebensmittelhandwerk bewahrt? Oder wird es dort gerade von einer jungen Generation nicht auch neu erfunden?

In Vorfreude auf unseren großen Mercato italiano in St. Elisabeth in der Invalidenstraße haben sich Viani-Geschäftsführer Remo Viani und Maria Laimer, die mit ihrem alkoholfreien Craft Beer Freedl auf den Mercato gekommen sind, über Deutschland, Italien und über gutes Essen unterhalten.

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Interview: Clemens Niedenthal

Remo Viani, Maria Laimer, wir sitzen hier virtuell zusammen, um über die deutsche Italiensehnsucht zu reden. Und auch ganz generell über kulturelle Identitäten und kulturelle Unterschiede. Zumal ihr ja beide sozusagen zwischen den Kulturen aufgewachsen seit. Du, Remo, als Sohn eines italienischen Vaters und einer deutschen Mutter im niedersächsischen Göttingen. Und Du Maria, in Südtirol im Hotel deiner Großeltern, das sehr viele deutsche Stammgäste hatte.

Maria Laimer: Wobei ich mich immer absolut als Italienerin gefühlt habe. Südtirol ist für mich nur eine Zusatzinformation und steht vielleicht für eine bestimmte Landschaft, die Alpen. Ich glaube ohnehin, dass jede Region, wenn man sich in Italien so umschaut, diese verschiedenen Einflüsse hat. In Südtirol fällt das vielleicht eher auf, weil wir eine andere Sprache sprechen. Aber spätestens wenn ich beispielsweise mit meinem deutschen Freundeskreis unterwegs bin, identifiziere ich mich klar als Italienerin.

Remo Viani: Das war bei mir lange anders. Wenn man in einer Epoche aufgewachsen ist, in der die Erziehung noch bei den Frauen lag, war der deutsche Einfluss meiner Mutter natürlich relativ groß. Wobei sie tatsächlich meistens italienisch gekocht hat. Es gab höchstens mal Königsberger Klopse, aber die haben mir ebenfalls sehr gut geschmeckt. Rund und kugelig bin ich dann auch geworden. Aber die Kinderärztin meinte, das verwächst sich und sie hatte zum Glück auch recht. Worauf ich eigentlich hinaus will: Man wurde in den 1970er- und 1980er-Jahren durchaus noch gehänselt für seine migrantische Identität und ich habe lange, mindestens unbewusst, die deutsche Seite in mir überbetont.

Wann kam dann der Moment, Remo, an dem du diese italienische Seite in dir finden wolltest?

Remo Viani: Ich habe schon latent gespürt, dass da irgendetwas fehlt. Dass ich diesen anderen Teil meiner Identität nach vorne holen muss. Das hatte viel mit meiner italienischen Oma zu tun, die ich absolut geliebt habe. Ich konnte mich aber gerade eimal mit Händen und Füßen mit ihr unterhalten. Ich hatte dann die Chance, in Vorbereitung für meinen Einstieg bei Viani in Mailand zu leben und  habe mich mit Haut und Haaren auf die Kultur dort eingelassen.

Maria Laimer: Ich möchte noch einmal auf das zurückkommen, was du vorhin gesagt hast. Du hast geradezu von einem Stigma gesprochen, als Italiener in Deutschland aufzuwachsen. Ich würde diesbezüglich sagen, dass sich das Italienimage in den letzten 30, 40 Jahren absolut gewandelt hat. Ich bin mit einem ganz anderen positiveren Italienbild aufgewachsen.

Remo Viani: Das ist überhaupt das große Glück, dass die Generation von Maria die Betriebe ihrer Eltern jetzt anders definiert, dass sie da einen Wandel reinbringt und, ja, auch ein ganz neues Selbstbewusstsein.

Maria Laimer: Wenn man weiß, dass nördlich der Alpen gerade alle nach Dolce Vita lechzen, ist es auch leichter, selbstbewusst und damit auch authentisch zu sein. Ich erlebe in Italien gerade eine Rückbesinnung auf die Tradition und das Handwerk, die eben daraus resultiert, dass wir diese Anerkennung, dass wir die Lust der Leute spüren. Italo Disco und der ganze mediterrane Lifestyle, jeder, der etwa eine Modestrecke produziert, guckt gerade nach Italien …

Es ist also wieder ganz so wie damals bei Goethe, Italien ist unsere Sehnsuchtskulisse?

Remo Viani: Und dieser Trend wird bleiben. Die Leute haben ja nicht nur eine Sehnsucht nach Italien, sie haben Sehnsucht nach dem Ungezwungenen, nach einer Leichtigkeit, nach einer gewissen Entspannung in all den ökonomischen und auch ökologischen Verwerfungen unserer Zeit.

Leichtigkeit ist in der Tat keine deutsche Tugend.

Remo Viani: Genuss war in Deutschland lange verpönt. Oder er war zumindest etwas, das man sich erst erarbeiten musste. Stattdessen zählte die Strebsamkeit, aber mit Strebsamkeit verträgt sich kein ausgeprägtes, gerne auch geselliges Mittagessen, wie man es auf jeder Piazza in Italien findet. Wenn sich hier in Deutschland langsam so etwas wie eine Apéro-Kultur etabliert, dann ist das mindestens im Kleinen auch eine Rebellion gegen das allzu Protestantische in unserer Kultur.

Maria Laimer: Und: Die italienische Küche und ihre Rituale passen gerade perfekt in eine kulinarische Stimmung, die dem fortwährenden Verfeinerungsdrang müde geworden ist. Überall nur große Teller mit kleinem Inhalt. Wir wollen wieder das Familiäre, das Vollmundige, die Atmosphäre.

Letztlich ist ja auch das vielzitierte Dolce Vita vor allem ein Gefühl.

Maria Laimer: Ich habe jetzt das Problem, dass ich zum ersten Mal meinen Sommerurlaub nicht in Italien verbringe, sondern an der deutschen Nordseeküste. Weshalb ich mich gerade frage, ob man nicht das Krabbenbrötchen und dazu ein Bier in ein genauso schlüssiges, emphatisches Narrativ packen könnte, wie es der italienischen Küche, wie es überhaupt Italien immer wieder gelingt. Die Erzählungen wären doch auch in Deutschland da.

Remo Viani: Das bringt mich zurück zu meinem Tagesgeschäft, das Reden über handwerkliche italienische Lebensmittel.  Wenn also ein Kunde, wenn eine Kundin einen unserer Viani-Läden verlässt, erinnert sie sich nicht daran, was ich ihr gesagt habe, sie erinnert sich daran, was sie gefühlt hat.

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